In Erinnerung geronnene Reste
Ich hätte den Beutel mit den Überbleibseln auch zu den Garnen schmeißen können, die ich für den Häkelworkshop bei den Flüchtlingen verbrauchen wollte, aber dazu waren sie mir zu wertvoll. Jeder Garnrest knüpft sich an eine Erinnerung des Strickstücks, das ich vormals gearbeitet hatte. Dabei ging es nicht nur um einen visuellen Flashback, sondern auch die Haptik beim Stricken rief mir die Gefühle ins Gedächtnis, die ich beim damaligen Verarbeiten empfunden hatte. Garne, die über die Nadel glitten wie beschleunigt und solche, die sich spröde und sperrig abstrickten. Manche größeren Abschnitte waren schneller gestrickt als etliche kleine, weil die Wolle sich widerspenstig zeigte.
Die kostenlose Anleitung von Beata Jezeks Outline (englisch) ist ideal für die Verarbeitung aller möglicher Reste. Bitte kein Mimimi „schon wieder Englisch“. Das Muster besteht aus genau zwei Zeilen, wovon die erste komplett mit rechten Maschen gestrickt wird. Den Muster-Rhythmus hat man schnell im Kopf und im Muskelgedächtnis, so dass man entspannt – fast meditativ – stricken kann. Und ups! schon wieder eine Farbe verbraucht.
Ich habe die Wolle nach dem Zufallsprinzip gewählt, indem ich einfach in die Tüte langte und nach Griffigkeit das Garn ausgesucht habe. Bei dem kleinen Zebrastreifen aus Blau und Gelb musste ich an einen Abschnitt aus Johannes Ittens „Kunst der Farbe“ denken, sinngemäß wird darin gesagt, dass man beim Komplementärkontrast von blau und gelb für 1/4 gelb 3/4 blau aufwenden muss, damit das Blau gleichberechtigt zum Gelb wirkt. Ansonsten würde das Gelb stets dominant sein. Man sieht gleich, dass im Zebrastreifen das Gelb dominiert, bei 1/3 gelb zu 2/3 blau.
Insgesamt habe ich fast 500g Reste mit Nadelstärke 4,0mm in der Stola verarbeitet, die ca 220 cm x 65 cm misst, nach dem Waschen. Das Bild rechts zeigt die Stola vor dem Waschen, man kann erkennen, wie plastisch das Muster hervortritt, man muss das feuchte Teil nicht einmal spannen, es glättet sich von selbst.
Ja, es ist nicht gerade ein harmonisches Teil, aber wie sagte der Satiriker Torsten Sträter sinngemäß in der Bahnpostille „mobil“ vom August 2016? Etwas muss nicht schön aussehen, um gut zu wärmen. Dabei bezog er sich auf eine Granny-Square-Decke. Der Mann weiß, wovon er spricht.
Die Designerin Beata Jezek leitet ihre Anleitung mit folgenden Worten ein: Hortest du schöne, einzelne, handgefärbte Knäuel Sockengarne? Dann ist dies das perfekte Design um alle verrückten farbigen Garne, Überbleibsel, Knäulchen, Restgarne aufzubrauchen, und auch die wertgeschätzten Knäuel.
Ein Teil der Bilder wurde unter einer Skulptur unseres Schlossers und Metallkünstlers Nobi Bühler gemacht, von dem noch in einem der kommenden Posts berichtet werden wird.
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