Von einem Tag auf den nächsten
Strickerinnen kennen das sehr gut: alles ist fertig gestrickt, und dann geht’s ans Zusammennähen und ans Finish. Die Einzelteile lagern teilweise über Jahre in einer Plastiktüte oder an einer anderen Stelle, wo man nicht immerzu an die ausstehenden Arbeiten erinnert wird. Bei jedem neu angefangenen Stück meldet sich ein kleiner Gewissenswurm: da wäre doch noch was? Du hättest ganz schnell einen neuen Pulli, eine neue Jacke oder was immer. Du müsstest nur noch … ja, und das „nur noch“ lässt auf sich warten.
In diesem Fall war das „nur noch“ etwas mehr, als nur Teile zusammenzunähen, das meiste musste erstmal gestrickt werden.
Der Anfang – Kragen und Ärmelbündchen – waren schon im September 2014 fertig. Den Beweis kann ich präsentieren, denn ich habe die Teile dazu verwendet, der geschätzten Strickerin die Maschenprobe ans Herz zu legen. Ich zeigte, dass die Herstellerangaben auf den Umbändern der Garne bei der Angabe der Nadelstärken oft zuverlässig danebenliegen. Anfängerinnen werden Maschenproben sehr empfohlen, alte Häsinnen machen sie sowieso, weil sie aus der Erfahrung nicht gemachter Maschenproben gelernt haben.
Gleichzeitig habe ich verschiedene Randabschlüsse für den Kragen getestet. Auch dafür ist eine Maschenprobe nicht zu verachten.
Neben den handgestrickten Teilen für die Maschenprobe fand sich auch bereits die Maschenprobe für die übrigen Teile, die auf der Strickmaschine gestrickt werden sollten, also der Rest bestehend aus Ärmeln und Rumpfteilen.
Ich konnte unmittelbar loslegen. Falsch: zunächst mussten erst alle Maschen und Reihen berechnet werden, denn die Anleitung konnte ich wegen der – aufgemerkt – unterschiedlichen Maschenproben überhaupt nicht nutzen. Mein uralter Taschenrechner von 1983 reicht da völlig aus, wir sind ein super Team. Alles, was zu tun war, noch schnell in mein Notizbuch geschrieben, dann aber konnte ich „vom Blatt“ stricken.
Binnen weniger Stunden hatte ich alle vier Teile unfallfrei zusammen, das Vorderteil bekam Brust-„Abnäher“. Wie nennt man das beim Stricken? Die angelsächsischen Strickerinnen benutzen dafür den Begriff „Bustdarts“, wörtlich übersetzt Brustpfeile. Mit verkürzten Reihen geht das flott. Wer schon einmal eine Socke gestrickt hat, kennt das Prinzip, man strickt demnach eine dem Busen Platz ermöglichende Ausbuchtung gemäß einer Sockenferse im Bumerang-Stil.
Strickmaschinennutzerinnen wissen: Maschinengestricktes rollt höllisch. Daher habe ich die Teile in Form gespannt und habe mit Dampfstößen aus dem Bügeleisen die Teile entspannt.
Und dann kam das Zusammennähen: die Schultern hatte ich schon zusammengestrickt von der Maschine genommen. Dann die Ärmel einnähen. Obacht: bei diesem Modell sind die Ärmel nicht symmetrisch im Bündchenmuster.
Und dann vom Rumpfbündchen zum Ärmelbündchen in einem Rutsch.
Geht doch: vom Berechnen übers Stricken bis zum letzten vernähten Endfaden ein ganzer Tag. Zugegeben: mit Unterbrechungen für Hausarbeiten und Mahlzeiten zubereiten ging der Tag bis 23 h. Da fragt man sich schon: warum habe ich zum fertigen Pullover sechs Jahre benötigt? Man weiß es nicht.
Der Pullover ist inspiriert vom Modell „Chambord“ von Karen Maple. Leider konnte ich außer dem Kragen und dem Bündchenmuster, sowie dem Schnitt nichts davon nutzen. Das Garn ist eine fifty/fifty Baumwolle-Schurwolle-Mischung, verbraucht habe ich etwas über 700g.
700g?! da schlägt die Baumwolle ja ganz schön zu.
Ach, manchen Teilen tut das Ablagern auch gut 😉 Aber ja, wenn ich die Nadeln in der Hand habe, um was Neues anzuschlagen, kommt dann doch mal so ein Gedanke hoch „solltest du nicht erst mal XXX fertig machen?“ Aber im Sinne von „Stricken ist ausschließlich zum Freudemachen da“ geht dann doch das Neue meistens vor 😉
Hallo Angela, der Kragen allein wiegt bestimmt schon fast 100 g.
Ja, ich bin ja keine zierliche Person, aber wie Annette schreibt: der Kragen hat Gewicht, besonders mit dem Krausrechts.
Und wie du vermutet hast: die Baumwolle macht’s. Die Mischung verstrickt sich allerdings toll, auch auf der Maschine, und letztens hatte ich den Pulli versehentlich im 50 Grad Pflegeleicht-Waschprogramm. Hat er nicht übel genommen.
Ja, Handarbeiten ist mein Hobby, und natürlich liegen manche Sachen länger als geplant. Ich habe einen Mantel hier liegen. Die Anleitung ist zum Steinerweichen, und wenn man die Projektbilder von anderen sieht: Durch das Gewicht gerät er völlig aus der Form. Das Oberteil habe ich nun schon das dritte Mal angeschlagen, in einem Garn, das sich nur schwer trennen lässt. Wenn ich die Hürde genommen habe, sollte er schnell fertig sein. den größten Teil habe ich.
Das Warten hat sich gelohnt! Der Pullover ist sehr hübsch geworden. Ufos sammeln ich nicht mehr an, aber ein paar „Strickproben“ habe ich auch noch liegen..
Liebe Grüße chatts
Herzlichen Dank für den Kommentar,
Strickproben habe ich kaum, aber man natürlich tricky sein und angefangene Rückenteile als Strickproben bezeichnen, die sind eben ein wenig umfänglicher geworden.
Dann stellt sich natürlich die Frage: wo endet die Strickprobe und wo beginnt das UFO? 🙂
😉
Meine „weggelegten“, unerledigten Stricksachen sind sehr sicher weggeräumt. Ich muss die schon suchen. Was ich für mich aber feststellen konnte, finde ich zufällig mal wieder so ein angefangenes Strickstück, habe ich sofort eine Eingebung, das heißt, entweder ich mache es endlich fertig oder ich ribble alles auf und fange voller Freude etwas Neues an.
Liebe Waltraud,
das ist natürlich auch eine feine Art, die Fertigstellung zu verzögern: aus den Augen, aus dem Sinn.
Deine Art der Entscheidung führt immer zu feinen Strickstücken, wie ich bei dir feststellen darf. Sie meisten sind unübertrefflich
Liebe Michaela!
Fein, daß Du den Pullover fertig gestrickt hast! Er sieht sehr hübsch und sehr feminin aus! Ich stricke tatsächlich brav eins nach dem anderen, UFO-Anhäufung tut mir einfach nicht gut, habe ich vor Jahren festgestellt.
Viele liebe Grüße von Annette
Vielen Dank, Annette,
ich beneide dich um die „Disseplien“. Solange ich auch fertigstelle und nicht nur anhäufe, kann ich mit angefangenen Projekten leben. Irgendwann kommt bei mir wieder das Gefühl beim Start auf: es gibt ja Gründe, warum ich das mal angefangen habe. Und dann wird aufgezogen oder beendet
Liebe Michaela!
Das sieht nur nach Disziplin aus. Mir macht die Anhäufung von UFOs einfach schlechte Laune, deshalb habe ich in diesem Punkt vor vielen Jahren mein Verhalten geändert. Deine Strategie, da sie Dir gut tut, ist also genauso erhaltenswert wie meine.
Viele liebe Grüße von Annette
Sich schlechte Laune om Hals zu schaffen ist natürlich ein guter Grund, am Ball zu bleiben.
Ich ärgere mich, wenn ich etwas habe lange liegen lassen und mich dann ganz neu einarbeiten muss. Dann bleibe ich aber meist dran.
Grüße und schönes Wochenenende!
Michaela
Das mit den herumliegenden oder -fahrenden WIPs kenne ich zur Genüge. Ich habe hier noch eine Raglanjacke, bei der (seit Sommer 2020) nur noch Halsbündchen und vordere Blenden fehlen.
Der Kragen im Pullover ist ja toll! Leider steht mir diese Form nicht besonders, sonst würde ich auch mal so etwas in Angriff nehmen.
Danke, Kerstin,
ich finde Kragen herrlich, sie können so schön vom Rest ablenken.
Ja, dieses „nur noch“ erinnert mich an das frühere DOS: der Balken zeigt nach 40 Sekunden 98 % Erledigung an, und für den Rest braucht es dann den halben Tag 🙂