Wickeln oder frickeln

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Als die Farben mit Farbverläufen auf den Markt kamen – mittlerweile auch schon fast wieder 20 Jahre her – wunderte ich mich, dass die Knäule so viel teurer waren als die Stränge. Beispielsweise bei Kauni oder Evilla, die zwar für ihre schönen Farbabfolgen und -übergänge bekannt waren, aber für die verwöhnte Merino-Fraktion viel zu kratzig.

Neulich kam mir schlagartig die Erkenntnis: das Wickeln macht’s! Vermutlich muss sich die Anschaffung einer Wickelmaschine für eine Firma erst amortisieren, bevor eine Gewinnspanne drin ist. Also müssen Knäule, die zusätzliche Arbeitsschritte erforderlich machen, nämlich wickeln (metergenau) und labeln, also mit einem Etikett versehen, auch teurer sein.

Letztens konnte ich mir die Beschaffung eines Elektrowicklers gut vorstellen, ich wickelte als Vorbereitung zum Maschinestricken eine ganze Menge Spendengarne. Für die Nicht-Maschinistinnen: Die Maschine mag keine Garne vom Knäul stricken, das Garn läuft mit unterschiedlicher Spannung und ruckelig, das gibt ein ungleichmäßiges Strickbild. Also wickeln und gleichzeitig paraffinieren, damit das Garn noch geschmeidiger über die Nadeln gleitet.

Während des Wickelns machte ich einige Formative Evaluationen, vielmehr kann man nebenher auch nicht machen. Für die Bewertungsgrundlage verwendete ich Informationsgewinnung durch empirische Datenerhebung. Ach so? Ich soll noch bitte erläutern, was Formative Evaluation ist?
Gemäß Wikipedia:
Die formative oder prozessbegleitende Evaluation wird während einer Maßnahme durchgeführt. Die Maßnahme wird in regelmäßigen Abständen untersucht und Zwischenresultate erhoben, um sie bestmöglich durchzuführen und bei Fehlentwicklungen anzupassen. Diese neuen Maßnahmen können wiederum evaluiert werden. Zusätzlich besteht im Rahmen der formativen Evaluation die Möglichkeit subjektive Eindrücke von Betroffenen zu erhalten (ohne retrospektive Verzerrungen).

Na, da steht es klar und deutlich: Während einer Maßnahme – nämlich Wolle wickeln – werden Zwischenresultate erhoben. Ja, und subjektive Eindrücke habe ich auch gewonnen, ohne retrospektive Verzerrungen, da direkt im Lauf des Wickelprozesses.

Ich konnte beispielsweise feststellen, dass ich an einem Kilo Wolle durchschnittlich eine Stunde wickle.

  • Garne, die leicht vom Strang laufen, können etwas schneller gewickelt sein. Auch dicke Garne brauchen nicht so lange.
  • Viscose: ganz übel, verhält sich weder im Strang noch im Knäul diszipliniert und wird nach dem Wickeln mit einem Netz gebändigt.
  • Dann gibt es Garne, die filzen schon bei Handwärme: der Zeitaufwand zum Wickeln erhöht sich.
  • Garne mit Mottenfraß: die Pest. Wenn man Meterstücke anknoten muss, verliert sich die Lust ziemlich schnell
  • Garne im Knäuel, die von außen proper aussehen, und nach 10 gewickelten Metern einen Schwung Wollkotze von 2/3 des Knäuels erzeugen, veranlassen, dass man erst einmal Knoten entwirrt und Flüche ausstößt.
  • Es gibt Stränge, die sind so in sich verdreht gehaspelt, dass man mit dem Knäuel um die Haspel wandern muss, wenn man nicht noch mehr Hedder verursachen will. Manche schaffen es, mehrfach die Drehrichtung zu ändern
  • Auch Stränge guter und teurer Marken haben ihre Tücken und manchmal mehr als 5 Knoten. Der Preis garantiert kein hohes Wickeltempo.

Also: durchschnittlich eine Stunde pro Kilo.


Letztens wurde mir der Start eines Projekt schon beim Wickeln verleidet: 600g Sockengarn einer sehr bekannten deutschen Marke wollten für einen Pullover gewickelt sein. Ich brauchte pro 100g-Knäul eine halbe Stunde. Innen im Knäul hatten sich durch die Überspannung beim Zwirnen Schlaufen gebildet, die sich um den Faden wickelten und ihn festzurrten, mehrfach. Beim ersten Knäuel dachte ich noch: kann vorkommen. Beim zweiten Knäuel: so ein Zufall. Beim dritten Knäul wickelte ich von außen ab: das gleiche Problem. Beim vierten dachte ich, das kann gar nicht so oft vorkommen. Ich dachte falsch. Die beiden letzten: genau das Gleiche.
Ich bin schon gespannt, wie sich das Garn beim Stricken verhalten wird. Drei Stunden allein fürs Garnwickeln, da wird einem klar, warum die Bobbel und andere Garne so viel kosten, wenn es nicht am Ausgangsmaterial liegt.
So viel zur Formativen Evaluation.

Generell macht mir das Wickeln der Spendengarne Spaß: die Freude zu sehen, wie handgefärbte Garne im Knäuel aussehen, die Zusammenstellung der Garne zu Projekten, das Berechnen des Verbrauchs für die Decken, das Überlegen nach Mustern, die zum Garn passen. Über Bluetooth höre ich nebenbei ein Hörspiel oder schaue Videos aus der Mediathek, manchmal lasse ich mir auch aus der Tageszeitung vorlesen.

Wollewickeln kann eine sehr meditative Beschäftigung sein.

 

LanArta

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2 Responses

  1. Liebe Michaela! Kenn ich, kenn ich … Das ist eben wahre Liebe!
    Viele liebe Grüße von Annette