Steampunk – optisch ein Genuss

Zugegeben: mit Steampunk können viele nichts anfangen. Ich fand Steampunk von Anfang an faszinierend, obwohl ich nie Teil der Community war, dazu hatte ich damals zuviel anderes am Laufen. Das Konglomerat aus viktorianischer Kleidung, technischen Elementen im Retro-Look und der Affinität zum Selbermachen sind eine Gemengelage, die einen breiten Raum zur Phantasie auffächert.
Seltsamerweise hatte ich schon beim Lesen von Jules-Verne-Romanen als Kind genau diese Vorstellung, wie sich Menschen in altertümlicher Kleidung mithilfe von Maschinen fortbewegten oder Apparaturen verwendeten, die aussahen, als hätte man sie aus der Schrottkiste befreit und ihnen zu neuem Leben verholfen. Dass sich meine kindliche Vorstellung in den 80-ern dann als „Steampunk“ herauskristallisieren würde, hätte ich nicht gedacht.

Ich verschlang in jenen Tagen Science-Fiction-Literatur buchstäblich zentnerweise, und im Roman „Das Erbe des Uhrmachers“ von K.W. Jeter tauchte nach meiner Erinnerung der Begriff Steampunk auf. Das Spannende war, dass ich nahtlos an die Jules-Verne-Zeit anknüpfen konnte: Viktorianische Zeit und analoge Technik zusammen mit den Dampfmaschinen, die nahezu alles Bewegliche antrieben.

Die Schokoladenfabrik „Stollwerck“ gab in den Jahren 1897/1898 Sammelbildchen heraus. Merke: Panini sind keine Erfindung der Neuzeit, schon damals köderte man die Kundschaft durch fortwährende Herausgabe von Bildchen. Ich war völlig den Sammelbildern in den Kölln-Flocken-Packungen verfallen. Das ist aber eine Geschichte, die ein andermal erzählt werden will. Zurück zur Schokoladenfabrik Stollwerck: dieses Sammelbildchen zeigt, wie man sich die Welt im Jahr 2000 vorstellte, aufs Bild klichen vergrößert etwas.
Quelle

 

Sehr phantasievoll: die Berittene Polizei wurde zur Fliegenden Polizei. Man dachte wohl, die Flügel von Da Vinci würden so weit entwickelt, dass jede Person sich damit fortbewegen könne. Im Hintergrund erkennt man eine Art Ballonfahrzeug. Sehr vorausschauend: einerseits, die Straßen freizuhalten, andererseits die Überwachung von oben. Dass heutzutage unbemannte (und unbefraute) Drohnen diese Aufgabe übernehmen: dieser Schritt ist noch nicht gedacht worden. Allerdings habe ich mir die Frage gestellt: wie ist geregelt, dass sich die fliegenden Polizisten nicht berühren und abstürzen?

Das Reisehotel auf Schienen ist eine feine Erfindung: moderne Architektur, rundum mit Aussichtsmöglichkeit per Plattform oder großangelegter Verglasung. Man kann auf dem Wagon die Aufschrift erkennen: „Schlafsalons“ (links) und „Bier-Restaurant“ (rechts). Unten steht „Table d’hote“, was den Reisenden signaliert, dass eine Speise angeboten wird, also das Gegenteil von Bestellmöglichkeiten „à la carte“. Über allem prangt der Begriff „Stollwerck“. Das Traumschiff jener Zeit, möchte man meinen. Im Hintergrund sieht man ein schwimmendes Haus, einen Zeppelin und einen fliegenden Menschen. Es sind auch zahlreiche Radler unterwegs, sogar mit Tandem und auf einem Fahrrad mit vielen Plätzen. Das konnte man nur fahren, weil keine Kraftfahrzeuge die Fahrbahn dominierten.

Die Hauptstraße ist von unseren heutigen Innenstädten nahezu ununterscheidbar, sieht man von den schöneren Fassaden einmal ab.
Fahrzeuge mittig auf der Straße, hochgelegte Fußgängerboulevards und als Highlight die Schwebebahnen. Vermutlich würden sich eine solche Umsetzung so manche Städteplaner wünschen.

 

Natürlich dürfen bei den retro-futuristischen technischen Gebilden des Steampunks die von Da Vinci entwickelten Flügel nicht fehlen, die von den Zeichnern der Stollwerck-Kärtchen als Flugapparate der Polizisten zugrunde gelegt wurden. Viele Steampunker haben die Geräte liebevoll nachgebaut.
Wer sich selbst ein Flügelmodell anfertigen möchte, das auch flattert, findet bei Instructables eine genaue Anleitung

https://data.whicdn.com/images/233737065/original.jpg
Werkzeichnung von Da Vinci, Bildquelle

 

 

Bildquelle

 

Mit Da-Vinci-Flügeln ist man auf Steampunk-Treffen bestimmt ein besonderer Hingucker.

Bildquelle

 

Ursa Major, die ich im letzten Beitrag bereits vorstellte, hat die Da-Vinci-Flügel stricktechnisch als Schal umgesetzt. Oder als Stola, je nachdem, wie groß man das Werk anlegt.

Die Anleitung ermöglicht eine Anpassung der Länge, je nachdem, wie viel Garn man zur Verfügung hat. Man strickt ein paar Felder, wiegt die verwendete Garnmenge und rechnet dann aus, wie weit man mit den verbliebenen Mengen kommt. Die Anleitung bietet dazu drei Größen an. Sehr ausgeklügelt und sehr gut dargestellt. Dazu eine übersichtliche Aufschrift der Einzelreihen und für die Chart-Freundinnen auch als Grafik im Angebot.

Der Schal ist doppelt angelegt. Gedacht ist, dass man die zweite Lage an die erste dranstrickt. Da meine Handarbeiten unterwegstauglich sein müssen, habe ich die beiden Teile getrennt gearbeitet und dann zusammengefügt, mit einer reversiblen Häkelkante innen.

Ich brauchte dazu 400g Ferner Garn fast auf – Color Flow – , das ich im Oktober 2016 für ganz andere Zwecke gekauft hatte. Als Kontrast 97 g DROPS Baby Merino, ein Geschenk von Judith. Da ich sehr fest stricke, nahm ich Nadelstärke 3, ein halber Milimeter weniger wäre fast noch besser gewesen. Ich werde nie verstehen, warüm Strickerinnen Fingering-Garn mit großen Nadelstärken stricken und die Projekte damit zu formlosen Lappen machen. Dieser Schal wirkt definitiv besser, wenn er etwas Standfestigkeit hat.
Der Schal ist ein Geschenk und heißt bei mir „Steampunk Wings“.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

LanArta

2 Responses

  1. Liebe Annette,
    danke für deinen Kommentar!
    Ja, die Form ist wirklich anatomiegerecht und kann so variabel getragen werden. Eine Bekannte meinte, man könne ihn auch dekorativ an die Flurgarderobe hängen.

    Liebe Grüße

    Michaela

  2. Liebe Michaela!
    Da hast Du Dir ein aufregendes Design ausgesucht. Toll! Das Tuch scheint auch nicht so leicht von den Schultern zu rutschen. Und 500g Wolle spenden natürlich viel Wärme.
    Viele liebe Grüße von Annette