Matelassé – Zum ersten …

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Die Besuche bei unserer lothringischen Verwandschaft in meiner Kindheit gliederte sich in zwei Gefühlsebenen: sterbensöd, wenn wir möglichst unbeweglich und geräuscharm am Kaffeetisch der älteren Generation sitzen mussten, und auch die lange Fahrzeit. Da gab es noch keine Kassettenrecorder oder CD-Player im Auto, geschweige denn irgendwelche Videogeräte, wo den Kindern jeder Blick in die Umgebung erspart bleibt.Und bald nach der Grenze empfing das Autoradio nur noch französische Sender.

Andererseits waren die Besuche auch interessant, weil sich die Wohn-Umgebung so stark von der unsrigen unterschied, dass es viel zu gucken gab.
Stickdeckchen, Häkeldecken in allen Formen und Größen, Nippeskram, Bilder in düsteren Farben und schweren Rahmen, dunkles Mobiliar, wuchtige Polstermöbel, Gobelin-Sofakissen, füllige Gardinen mit dickplüschigen gesmokten Vorhängen, ich fand es gleichermaßen abscheulich und bedrückend und auch faszinierend.
Nur einen Raum fand ich wirklich schön, das sogenannte “Winterzimmer”. Hier durften wir Kinder nach dem Kaffeetrinken und Kuchenessen hinein, damit sich die Erwachsenen ungestört unterhalten konnten. Ja, auch wir Kinder bekamen Milchkaffee, in den die Verwandte meiner Großmutter auch einen Löffel Kakao unterrührte. Die Eltern hatten den Lego-Eimer, Malsachen, Spielautos, Comics und das Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel und das Memory mitgenommen, damit wir Ruhe gaben.
Das Winterzimmer war mit Korbmöbeln ausgestattet, leicht und luftig. Die damals modernen Pflanzen standen an einem tiefgezogenen doppelten Fenster, mit Ausgang zum Garten. Gummibaum, Sanseveria, Monstera, Grünlilien, Schusterpalme, Efeutute, Zierspargel, Clivien, Aralien, sowie Weihnachtskakteen von gigantischem Ausmaß nahmen den größten Teil des Raumes ein.

Auf den Möbeln befanden sich sogenannte Matelassé-Kissen und Decken, gesprochen “Mattlassee”, betont auf der letzten Silbe.
Als ich die Matelassé-Anleitungen von Priscilla Hewitt endeckte, wurde ich umgehend in die Erinnerungen an meine Kindheit geschleudert. Damals fand ich die Decken in pastellenen Uni-Farben einfach nur schön, diese plastischen Muster, die Leichtigkeit des Stoffes, der dennoch Griff hatte, die Wärme durch die spezielle textile Konstruktion. Am liebsten lag ich auf der Korb-Liege, zugedeckt mit einer Matelassé-Decke und schaute Comics und Bilderbücher an.
Natürlich verschwendete ich seinerzeit keinen Gedanken an diese textile Errungenschaft.

Der Begriff Matelassé kommt vom französischen “Matelas”, die Bezeichnung für Matratze. Früher waren Matratzen ein Luxusgut, denn die rückenschonenden Schlafunterlagen wurden aufwändig hergestellt. Sowohl bei den preisgünstigeren Seegras-Matratzen als auch bei den hochwertigen Rosshaar-Polstern musste die Füllung fixiert werden, damit sie nicht wegrutschte oder klumpte, das geschah mit einer Art Stepptechnik.

Sicher erinnern sich manche noch an die dreiteiligen Matratzen in den Betten. Sie wurden wöchentlich gewendet und auch die Positionen der Teile öfter ausgetauscht, damit sich die teure Anschaffung lange hielt.

In diesem Video kann man an einer Matratze mit Wollfüllung sehen, wie kraftfordernd die Herstellung früher war.

Von der reliefartigen Struktur, dem Gepolsterten leitet sich der Matelassé ab und hat sich in verschiedene Bedeutungen gespalten.

Der Matelassé bezeichnet ein Doppelgewebe, das leicht gepolstert wirkt. Obenauf ist ein Jacquardgewebe mit Musterung, im unteren Schaft entstehen durch die verschiedenen Kettgewebe die Struktur. Wenn die dünne Unterkette alle nicht auf der Warenoberseite verwendeten Schüsse zwischen sich und die Oberware bringt, so entsteht eine hervortretende Wölbung, die aussieht, wie gesteppt oder gepolstert. Das Relief ist also ursprünglich nicht durch Steppen oder Quilten entstanden, sondern durch die entsprechende Webtechnik mit zwei unterschiedlichen Materialien auf Ober- und Unterkette.

Da die Herstellung sehr kostspielig ist, wird sie heute kaum noch gebraucht. In Portugal gibt es Manufakturen, bei denen die Stoffe für Bettüberwürde und passende Kissen gefertigt werden, die in südlichen Ländern gern als Schlafdecken Verwendung finden, aber bei uns weniger gebräuchlich sind. Schade eigentlich.

Heutzutage wird alles mögliche als Matelassé bezeichnet, hier beispielsweise ein kleines Täschchen, den Preis kann man auf der Ursprungsseite der Abbildung ermitteln.

An dieser Stelle sei erwähnt, dass mein Blog nicht zu Handels- oder Verkaufszwecken dient und ich für Namensnennung nicht bezahlt werde. Markennamen dienen ausschließlich der begrifflichen Kennzeichung.

Tasche aus Matelassé-Nappaleder

 

Die Benennung “Stepp-Stiefel” würde dieser Fußbekleidung sicher nicht gerecht, daher wird sie vom Händler (Bildquelle) auch “Matelassé-Stiefelette mit Strass” bezeichnet.

Erinnert sich noch jemand an die Hollywood Filme, in denen der Gipfel der Frivolität war, dass der Auftritt der Diva im Nylon-Stepp-Bademantel erfolgte?

Auch das wird mittlerweile als matelassiert bezeichnet. Für diejenigen, die ihre Erinnerung auffrischen oder überhaupt eine Vorstellung bekommen wollen, habe ich ein Abbild bei Etsy heraugesucht. Ja, das war Glamour.

 

 

Die Designerin Patricia Hewitt hatte 2012 sicher nicht Steppjäckchen, /-Schühchen, /-Täschchen im Sinn, als sie die Muster für ihre Matelassé-Collection entwarf, sondern tatsächlich die Decken in der Matelassé-Optik.

Bildquelle

 

Hier ein Beispiel für die Originalherstellung, die ein bekannter Designer in Auftrag gegeben hat. Bildquelle
Hier ein Beispiel für die Originalherstellung, die ein bekannter Designer in Auftrag gegeben hat. Bildquelle

 

So etwas ähnliches ist auch bei den Mustern von Priscilla Hewitt

 

Die Bildquelle sieht man im Bild.

 

Den Start der Matelassé-Decken-Serie läute ich mit dem Bordeaux-Matelassé-Afghan ein. Im Original sieht die Decke so aus

 

Bei meiner Decke gibt es Modifikationen

  • Dank einer wunderbaren Wollspende von Barbara wird die Decke zweifarbig. Sie wird aus Kampes-Garn gearbeitet, einem reinen Wollgarn in Shetland-Optik und Griffigkeit
  • Die laceartigen Umrandungen der Module lasse ich weg, damit sie warm genug bleibt. Sie wird zu den Waisenkindern von AMPO gesendet
  • Ich packe noch ein paar Module in den Rand, in diesem werde ich komplett alles Garn verbrauchen.
  • Beim Wickeln stellte ich fest, dass die Wolle bei gleicher Färbung in zweifädig und dreifädig vorhanden ist. Jetzt muss ein wenig improvisiert werden, damit die Optik und die Griffigkeit überall ungefähr gleich ist. Nur bei genauem Hinsehen erkennt man die Oktagone, bei denen das Helllila dicker ist und die Netzblüte dünner.

Der Gesamteindruck

 

Ein Detailbild

 

Mein Favorit bei der Technik des Zusammenhäkelns ergibt diese feine Linie zwischen den Modulen.

 

Hier ist die Anleitung zum Zusammenhäkeln, dieses Mal die britische Variante.

Insgesamt wurden fast 1300g Garne verarbeitet, ein kleiner Rest wandert in die nächste Decke.

 

LanArta

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2 Responses

  1. Liebe Michaela!
    Wieder was gelernt! Und Du bist ja wirklich unermüdlich im Ausprobieren neuer Techniken und Muster.
    Beste Grüße von Annette

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