Rosa oder hellblau?

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Neulich kam meine Strickbekannte U. aus dem örtlichen Wolleladen. “Sie haben kein Hellblau”, meinte sie. Wofür sie das brauche, so meine Rückfrage. Sie erwarte einen Neffen, und den wolle sie in Hellblau bestricken. Sie habe extra so lange gewartet, bis sie das Geschlecht wusste. Ich konnte es kaum glauben. Dieses Klischee gibt es immer noch? Schon in meiner Jugendzeit fand ich, dass solche Zuweisungen Terror bedeuten. Zwanghafte Festlegungen ohne logischen Ursprung konnten nur nahe legen, dass hier Gründe für unlautere Absichten geschaffen werden sollten.

STYLEBOOK weiß es”, so lobt sich STYLEBOOK selbst im Link zur Frage, warum Rosa für die Mädels und Blau für Jungs als Farbe festgelegt wurde. Noch vor hundert Jahren sei das anders gewesen, Rot war die Farbe des Männlichen, Blau für das Weibliche. Dass die Einteilung Rosa für Frauen, Blau für Männer noch viel früher ihren Ursprung nahm, zeigen wir später.

Rotgefärbte Gewänder waren schon immer begüterten Menschen vorbehalten, Regierenden und bedeutsamen Kirchenmännern. Die rote Farbe, insbesondere Purpur wurde aufwändig gewonnen, daher konnten sie sich nur Leute leisten, die es auch bezahlen konnten. Also Männer mit Geld und deren (Ehe-)Frauen. Rot bedeutete Kraft, Feurigkeit, Energie. Schon im Alten Testament trugen Männer von Bedeutung Rot oder Purpur. Rosa ist demnach die kleine Schwester des Rot.

Wenn man christliche Darstellungen oder Kunstwerke auf diese Merkmale hin betrachtet, wird man auf den meisten genau diese Einteilung wieder finden. Das Jesuskind und männliche Kleinkinder mit rosa Windel, Männer mit hoher Bedeutung haben zumindest einen roten Anteil in der Bekleidung.

Blau war die Farbe der Mutter Jesu, Maria. Auf Bildern oder Marienskulpturen kann man sie am blauen Kleid erkennen. Daran hat man sich bei der Frauen- und Mädchenkleidung orientiert, sofern Farbe erschwinglich war.
Sieht man sich Darstellungen aus der Antike an, spielt Farbe gar keine große Rolle, die Menschen trugen im Alltag leinenfarben oder schäfchenfarben, je nach Ursprung der Faser. Man kann davon ausgehen, dass Kleidung, die häufig gewaschen wurde, ohnehin kaum Farbe enthielt, es gab nur wenige Fixierpräparate, die Farben dauerhaft im Stoff hielten. Das Trocknen in der Sonne bleicht Farben aus, im Zeitalter des Wäschetrockners sind es überwiegend die Waschmittel.
Mit farbigen, gewebten Bändern verzierte man die Kleidung und schuf damit Blickfang.

Historiker meinen, bis in die 40-er Jahre des 20. Jahrhunderts war Blau die Farbe der kleinen Mädchen, der Trend zu Rosa habe sich anscheinend nach dem ersten Weltkrieg entwickelt. Verschiedene Quellen greifen auf diese Aussage zurück.

Die Süddeutsche schreibt, eine US-Kinderkleidungsfirma habe die Farbverteilung so festgelegt, zu Marketingzwecken. Auf diese Weise hatte man Kaufanreize für viel mehr Umsatz. Gender-Marketing würde man das heute nennen.

Anna Behrend von der Schweriner Volkszeitung hat sich besonders Mühe gegeben, das Phänomen zu recherchieren, nach meiner Auffassung der Artikel mit den meisten und aussagekräftigsten Fakten. Besonders ist mir die Aussage aufgefallen:

In einem digitalen US-amerikanischen Zeitungsarchiv, das fast 12 Millionen digitalisierte Zeitungsseiten aus den Jahren 1789 bis 1924 enthält, filterte er 27 sinnvolle Einträge zum Thema heraus. In diesen kam die heutige Pink-Blau-Zuordnung ebenso häufig vor wie das genaue Gegenteil, also eine Zuschreibung von Blau für Mädchen und Rosa für Jungen. – Quelle: https://www.svz.de/21636157 ©2020

Das Thema dieses Blog-Artikels scheint voll im Trend zu liegen, Judith schickte mir diesen Artikel aus der Neuen Zürcher Zeitung, der das Thema aus der Sicht der Wahrnehmungspsychologie betrachtet. Wir erfahren, wie Farben Erinnerungen wecken, ählich, wie bei Gerüchen.

Wie war das noch gleich im Biblischen? Blau für Marias Gewandung, Rot für das Blut Jesu.
Hier der Altar unserer katholischen Kirche St. Martin. Diese ist bereits über 500 Jahre alt und unterlag mehreren innenarchitektonischen Veränderungen. Um 1870 wurde sie entbarockisiert und die Ausstattung wurde neogotisch, insbesondere die Altäre. Das Typische am Neogotischen sind die zahlreichen Spitzen des Hochaltars, sowie die filigranen Ausführungen an den Bögen, die man von der gotischen Baukunst übernommen hat. Viele Kirchen oder Bauwerke, deren Spitzen quasi am Himmel kratzen, erkennt man an diesem Merkmal, Notre Dame oder der Kölner Dom bringen einem das Bild vor Augen.

Wie kommt es nun so plötzlich zu einem Themenwechsel? Ist gar keiner. Schauen wir uns die beiden Figuren mit faltenreichen Gewändern zwischen den Heiligen über dem Blumenschmuck an.

Links Rosa, rechts Hellblau. Das gibt die Sitzordnung in der Kirche an, und zwar schon um 1870. Das trifft die Aussage von oben: … kam die heutige Pink-Blau-Zuordnung ebenso häufig vor wie das genaue Gegenteil, also eine Zuschreibung von Blau für Mädchen und Rosa für Jungen …

An der Sitzordnung ist nicht zu rütteln. Eine Geschlechtertrennung in der Kirche ist seit dem Frühchristentum und daher in allen drei Hauptkonfessionen (röm.-kath., evang., orthodox) bekannt. In katholischen Kirchen sitzen gewöhnlich die Männer rechts (Süden) und die Frauen links, zumindest war das lange Zeit so, heute ist freie Platzwahl. Und es gab auch soziale Trennungen zwischen armen und reichen Bevölkerungsgruppen. Frühere Altäre weisen sogar eine Geschlechtertrennung bei den Heiligen auf, links wurden die weiblichen, rechts die männlichen Heiligen dargestellt. Der Marienaltar steht tradionell links, der Altar, der Kirchenpatronin / des Kirchenpatrons rechts. In der Martinskirche ist das ebenfalls umgekehrt, der Marienaltar steht rechts.

Bei allen Recherchen zum Thema stellte sich heraus, dass meine jugendliche Vermutung, diese Farbzuschreibung kann nur einem Zweck dienen, der bestimmten Menschen Vorteile verschafft, nicht abwegig war.

Der Rosa-Blau-Code ist mittlerweile weit über die Bekleidungsfarbe für Säuglinge und Kinder hinaus gegangen. Es war nur eine Frage der Zeit, dass auch die Spielzeugindustrie davon ergriffen wurde. Mittlerweile hat das Gender-Marketing auch Lebensmittel und Gebrauchsgüter erfasst.

Auf der Website Die Rosa-Hellblau Falle werden sowohl alltägliche als auch schlimmste Auswirkungen dargestellt. Die Autor*innen bilden ein Ranking für die von Leserinnen und Lesern eingesandten Fundstellen und vergeben den Negativpreis für Sexismus. Das Gruselkabinett der Klischees zeigt überdeutlich, an welche Ausprägungen wir uns im Alltag schon gewöhnt haben, ohne dass sich uns regelmäßig die Haare sträuben.

Für diejenigen, die sich jetzt ins Thema eingelesen haben und noch ein Sahnehäubchen wollen, empfehlen wir einen Beitrag des Deutschlandfunk Kultur. Von dieser Website (Urheberschaft für die Grafik) stammt auch das Titelbild dieses Beitrags
Hier ein Auszug aus dem Manuskript:
ER: Waldemar Kobus ist Schauspieler und lebt in Berlin.

SIE:
 Er hat zum Beispiel in Bully Herbigs Wicky-Verfilmungen den Vater Halvar gespielt. Und in ‚Operation Walküre – Das Stauffenberg-Attentat‘ spielte er an der Seite von Tom Cruise.

ER: Und in den Drehpausen am Set, da strickt er gerne.

Waldemar Kobus: 
Im Gegensatz zu dieser unfassbaren Arbeit, die ich da tagsüber mache, ist dann dieses Stricken etwas ganz Simples, das hat ‚nen konstanten Fortschritt, ich seh anschließend, wie viel ich geschafft hab, wie viel Zeit hatte ich, zu warten, wie oft konnte ich zwischendurch zu den Nadeln greifen. Am Ende eines Drehtages zu sehen, ja das hab ich heute nebenher geschafft. Den Rest, diesen Hauptteil meiner Arbeit heute, den werd ich irgendwann sehen und in ganz abgeänderter Form. Aber das hier, das kann ich jetzt schon anfassen und mit nach Hause nehmen. Und das ist aus irgendeinem Grund beruhigend.

Meine Kollegen, die werfen mir ja sowieso vor, dass wenn ich auf irgendwelchen langen Flügen stricke, dass das nur ist, um mich bei den Stewardessen beliebt zu machen, weil die dann natürlich alle bei mir stehen und fragen wo ich die Wolle her hab und ob ich auch das und das schon mal probiert hab, und dieser angeschrägte Raglan, ja das sei ja ganz regelmäßig. Da stehe ich eher im Verdacht bei meinen Kollegen, mich bei den Frauen einzuschleimen mit meiner Strickerei.

Und nun sind wir wieder beim Ausgangspunkt angelangt: Stricken.

Liebe U. aus S,
deine Absicht, ein Neugeborenenoutfit zu stricken ehrt dich. Das wird bestimmt absoloot cool.
Dass es hellblau sein wird, tut nichts zur Sache. Dass es aber hellblau sein muss, weil es ein Junge wird, hat mich extrem aufgebracht und dazu veranlasst, dem Thema auf den Grund zu gehen.
Dabei geht es nur am Rand um die Farben an sich, wesentlich ist, dass den Farben eine Wertung gegeben wird, ganz willkürlich, zum Nutz und Frommen derjenigen, die davon profitieren.
Und an dieser Stelle darfst du selbst weiter denken.

LanArta

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2 Responses

    • Ich selbst mag grau gar nicht besonders, aber wenn die Kindeseltern das so wollen, bekommen sie es auch. Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler 🙂

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